Bretonische Geheimnisse by Bannalec Jean-Luc
Autor:Bannalec, Jean-Luc [Bannalec, Jean-Luc]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch
veröffentlicht: 2018-06-25T22:00:00+00:00
Ohne es beabsichtigt zu haben, war Dupin am Ortseingang von Tréhorenteuc so abgebogen, dass er an der Église du Graal vorbeikam.
Er verlangsamte, überlegte und blieb stehen. Ungefähr da, wo sie heute Morgen geparkt hatten. Als alles noch ein harmloser, fröhlicher Betriebsausflug gewesen war. Es kam ihm mittlerweile vor, als läge es Tage zurück. Er würde sich rasch selbst umschauen. Wenn er schon einmal da war.
Einige hellrote Schiefersteine leuchteten im Mondlicht auf, strahlten förmlich, als schiene in ihnen ein eigenartiges kristallines Licht. Die anderen blieben blass. Es sah aus, als formten sich Zeichen. Mysteriöse, unentzifferbare Zeichen. Die Kirche war ein schlichter, lang gezogener Bau mit einem kurzen Querschiff. Aus dem dunkelsilbern schillernden Dach stach der auffällig kleine Kirchturm hervor, als würde ein Stück fehlen. Auf der rechten Seite ein Anbau, wie ein kleines Haus, das aus der Kirche herauswuchs, mit einem einzigen runden Fenster.
»Hallo? Ist hier jemand?«
Dupin hatte laut gerufen. Er näherte sich dem Eingang, der vermutlich verschlossen sein würde.
»Hallo?« Dupin wusste, wie kurios die Szene auf einen zufälligen Beobachter wirken würde. »Hier spricht Commissaire Dupin. Commissariat de Police …«, er brach ab.
Nichts regte sich.
Dupin hätte nicht einmal annäherungsweise zu sagen vermocht, was er erwartet hatte. Außer, dass er hoffte, Riwal und Kadeg zu finden. Auch, wenn er nicht wusste, warum sie ausgerechnet hier sein sollten.
Er würde einmal um die Kirche herumgehen. Und dann zu Madame Cadiou fahren.
Aufmerksam suchten seine Blicke das Gebäude und die Umgebung ab. Das einzig Bemerkenswerte war, dass mittlerweile in der Nachbarschaft Lichter angegangen waren und sich Fenster öffneten. Zwei verschlafene Menschen streckten die Köpfe heraus. Dupin sah schon kommen, dass jemand die Polizei rief.
Einem unbestimmten Impuls folgend schritt er nach dem Umrunden der Kirche noch einmal auf den Eingang zu. Über der Tür stand der Satz, den heute jemand zitiert hatte. War es Riwal gewesen? »La porte est en dedans.« »Zur Tür gelangt man nur von innen.« So sondersam wie alles hier. Sollte es so etwas heißen wie: Nur, wenn du schon drin bist, kommst du hinein? Das wäre ungefähr, was der Erzähler über den Wald gesagt hatte. Und genauso kam ihm dieser Fall vor. Nur wenn man schon drin wäre, fände sich ein Zugang. Dupin aber war eindeutig draußen.
Die Tür war aus Holz und rot gestrichen, im Mondschein ein fahles Rot. Ein schlichter rot gestrichener metallischer Griff. Dupin drückte ihn. Die Tür schwang auf und im nächsten Moment stand der Kommissar unerwartet in der Kirche.
»Hallo?, Ist hier jemand?«
Wieso war die Kirche nicht verschlossen?
Dupin suchte nach einem Lichtschalter. Neben der Tür sah er keinen.
»Hier ist die Polizei!«
Durch zwei Fenster rechts und links der Tür sowie eines am anderen Ende der Kirche fiel überraschend viel Mondlicht.
Wie angewurzelt blieb Dupin stehen. Sein Blick wurde von zwei gewaltigen Inszenierungen in den Bann gezogen. Linker Hand, die gesamte Seitenwand der Kirche hoch bis unter die gerundete Decke: ein trotz des geringen Lichts beinahe blendend goldenes Leuchten. Vor einem goldenen Hintergrund war eine verrückte Szene abgebildet: ein gigantischer, erhabener weißer Hirsch mit einem goldenen Halsband und einem goldenen Kreuz daran, umringt von vier flammend roten Ungetümen, die offensichtlich nach ihm trachteten.
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